Interview mit toneshift - Netzwerk gegen Hass im Netz und Desinformation
Die Bekämpfung von Hass und Desinformation ist ein komplexes Feld. Welche spezifischen Synergien und neuen Möglichkeiten ergeben sich durch den Zusammenschluss der sechs Partnerorganisationen, die toneshift bilden?
Die Bekämpfung von Hass im Netz und Desinformation ist komplex – einfache Lösungen gibt es nicht. Wirksam sind nur umfassende Strategien, die vorbeugend wirken, während und nach dem Auftreten dieser Phänomene eingreifen und dabei Bildung, Regulierung, Rechtsdurchsetzung, Betroffenenschutz und Forschung miteinander verbinden. Genau das leistet toneshift: Der Zusammenschluss von sechs Partnerorganisationen deckt all diese Bereiche ab, vernetzt Ansätze und Akteur*innen und schafft so Orientierung für Politik, Forschung, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit. Forschung und Praxis profitieren wechselseitig voneinander, Bedarfe der Zivilgesellschaft werden sichtbar und können in Forschung und Advocacy einfließen. Darüber hinaus bietet toneshift Beratung für Öffentlichkeit und Privatwirtschaft und vernetzt mit passenden Organisationen, wenn Expertise außerhalb des Netzwerks gefragt ist. So entstehen Synergien, die den Einsatz gegen Hass und Desinformation langfristig stärken.
Hass im Netz manifestiert sich in vielen Formen, darunter digitale Gewalt, Hassrede und Verhetzung, die oft fließend ineinander übergehen. Welche aktuellen Trends und Entwicklungen beobachten Sie und wie passt toneshift seine Strategien und Angebote an, um den verschiedenen Erscheinungsformen effektiv zu begegnen?
Aktuell sehen wir verschiedene, wichtige Entwicklungen: Generative KI eröffnet neue Möglichkeiten für Hass und Desinformation, kann aber auch für wirksame Gegenstrategien genutzt werden. Vorausgesetzt, die Zivilgesellschaft wird entsprechend durch Investment und Expertise gestärkt. Um dies aktiv zu unterstützen, werden im Rahmen von toneshift durch das IDZ Prototypen für den zivilgesellschaftlichen Einsatz von KI im Themenfeld entwickelt und bestehende Projekte mit Daten und Expertise unterstützt. Regulierung bleibt im Kampf gegen Hass und Desinformation entscheidend. Dabei sollten wir den Anspruch haben, dass unsere Demokratie online genauso geschützt ist wie offline. Das, was auf dem Marktplatz verboten ist, ist auch online nicht erlaubt. Ein Jahr nach Inkrafttreten des Digital Services Act zeigt sich, dass Durchsetzung und Transparenzanforderungen dafür noch konsequenter eingefordert werden müssen. Antidemokratische Akteur*innen nutzen soziale Medien weiterhin gezielt für Desinformation, während Bürger*innen immer lauter verlangen, dass digitale Räume frei von Hass und Desinformation gestaltet werden. Passend dazu wächst das Bedürfnis nach alternativen, EU ansässigen Plattformen, die nicht von Aufmerksamkeitsökonomie und Polarisierung geprägt sind. Wir beobachten gespannt, welche Faktoren für eine erfolgreichen Durchsetzung solcher Plattformen wichtig sind. Besorgniserregend ist für uns auch die Zunahme gezielter Angriffe auf zivilgesellschaftliche Organisationen, etwa durch Desinformation oder rechtliche Einschüchterungsversuche. Die Motivation dahinter ist klar: demokratiefördernde Akteur*innen sollen ihre Arbeit nicht fortsetzen können.
Hass im Netz trifft nicht alle gleich. Wie kann toneshift besonders gefährdete Gruppen – etwa BIPoC, LGBTQ*-Personen, Frauen und Jüdinnen und Juden – dabei unterstützen, ihre Resilienz zu stärken und sich wirksam vor Hass im Netz zu schützen?
Angebote müssen gezielt auf die Bedürfnisse einzelner Gruppen zugeschnitten sein – und dafür braucht es eine diverse, starke, vernetzte und resiliente Zivilgesellschaft, die alle diese Angebote beherbergt. toneshift trägt dazu bei, indem das Netzwerk eine Struktur für relevante Organisationen aufbaut. Im Mittelpunkt steht der Anspruch, eine offene und partizipative Infrastruktur zu schaffen, die sich an den Bedarfen derjeniger orientiert, die sich gegen Hass im Netz und Desinformation engagieren. Gemeinsam soll so ein Raum für Austausch, Kooperation und geteiltes Lernen entstehen. Wir stärken so die Zivilgesellschaft, indem wir Wissen bündeln und Forschung und Advocacy betreiben. Wichtig ist auch, dass Betroffene schnell passende Anlaufstellen finden. toneshift als erste Anlaufstelle für die Öffentlichkeit ist dabei entscheidend. Instrumente wie die Akteur*innen-Datenbank oder der Interventionsatlas von Das NETTZ schaffen hier auch Transparenz und Orientierung. Gleichzeitig darf die Verantwortung nicht allein bei den Betroffenen liegen: Digitale Räume müssen grundsätzlich so gestaltet werden, dass sie für alle sicher und zugänglich sind.
Die Studie „Lauter Hass – leiser Rückzug“ hat gezeigt, dass Angst vor Hass im Netz zur Einschränkung des öffentlichen Diskurses und damit zur Gefährdung unserer Demokratie führt. Wie kann toneshift Journalistinnen, Politikerinnen, zivilgesellschaftlich Engagierte und Fachkräfte in der Präventionsarbeit darin bestärken, trotz digitalem Hass aktiv zu bleiben und ihre Arbeit gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus im Netz wirkungsvoll fortzuführen?
Es ist ein zentrales Anliegen für uns, die Möglichkeit zur digitalen Partizipation für alle zu schützen. Auch und gerade dann, wenn Menschen im Netz Hass ausgesetzt sind. Deshalb stellt toneshift für den in der Frage genannten Gruppen nicht nur bestehende Angebote bereit, sondern entwickelt diese kontinuierlich weiter. So richten die Neuen Deutschen Medienmacher*innen einen großen Teil ihrer Arbeit an Journalist*innen aus, während HateAid die Auswirkungen von digitalem Hass auch spezifische auf kommunale Politiker*innen erforscht und ihnen zugleich bei der Durchsetzung ihrer Rechte hilft. Die GMK unterstützt schulische Fachkräfte und Engagierte mit vielfältigen Bildungsangeboten und Ressourcen. Mit der Meldestelle REspect! erhalten alle Nutzer:innen eine Anlaufstelle, um ihre digitalen Rechte einzufordern. Das IDZ stellt die nötige Forschung für die relevanten Zielgruppen bereit, und Das NETTZ schafft mit Vernetzung und Wissenstransfer Orientierung. Als Netzwerk bietet toneshift so ein umfassendes Verständnis der Herausforderungen, vor denen Journalist*innen, Politiker*innen, Fachkräfte und Engagierte stehen. Gleichzeitig tragen Forschung und Austausch dazu bei, die Bedarfe dieser Zielgruppen sichtbar zu machen und passgenau zu beantworten – damit sie trotz digitalem Hass handlungsfähig bleiben und ihre Arbeit gegen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus wirkungsvoll fortführen können.
Das Thema Desinformation hat durch die Sozialen Medien und die Möglichkeiten der KI nochmals an Brisanz gewonnen. Welche Rolle spielt toneshift in der Aufklärung über Desinformation und welche konkreten Angebote (Forschung, Materialien oder Schulungen) bieten Sie an, die auch für die Bildungs- und Präventionsarbeit in NRW nutzbar sind?
toneshift betreibt keine direkten Interventionen gegen Desinformation, wie zum Beispiel Fact-Checking. Vielmehr stärken wir den Umgang mit Desinformation, indem das Netzwerk zivilgesellschaftliche Expertise bündelt und relevante Akteur*innen miteinander vernetzt. Auf unserer Website bieten wir eine aktuelle Übersicht zu den zentralen Fragen des Themas, die derzeit auf Basis neuer Forschung weiterentwickelt wird. Darüber hinaus hat Das NETTZ gemeinsam mit dem betterplace lab ein Modell zur Wertschöpfungskette der Desinformation entwickelt, das auf unserer Website zugänglich ist und für Bildungs- wie auch Präventionsarbeit eine wertvolle Grundlage darstellt. Der Fokus auf Desinformation für toneshift ist auch neu. Da werden in den nächsten Monaten neue Angebote nach und nach erscheinen.
Das Interview führten Amos Wasserbach und Verena Hoppe.