Am 29. Mai wurde zum 32. Jahrestag an den rassistischen Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç in Solingen erinnert. Bei dem Anschlag 1993 wurden 14 Personen durch vier junge Männer zum Teil lebensgefährlich verletzt und fünf Familienmitglieder ermordet: Hülya Genç, Saime Genç, Hatice Genç, Gürsün Ince und Gülistan Öztürk.
Zum ersten Mal lud der neu gegründete Verein Mevlüde Genç e. V. zum Gedenken und Zusammenkommen ein. Mevlüde Genç setzte sich trotz des persönlichen Verlustes ihrer zwei Töchter, zwei Enkelinnen und einer Nichte bis zum Lebensende 2022 entschlossen für Versöhnung und Verständigung ein. Der Verein hat das Ziel, ihre Werte und ihren Kampf für ein friedliches Zusammenleben weiterzutragen und durch bewusstes „erinnern, mahnen, bilden und gestalten“ eine diskriminierungsfreiere Zukunft mitzugestalten.
Bei der Gedenkveranstaltung versammelten sich etwa 300 Gäste vor dem Grundstück des damaligen Hauses der Familie Genç an der Unteren Wernerstraße. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit Grußworten von Familienangehörigen, vom Oberbürgermeister der Stadt Solingen Tim Kurzbach sowie vom türkischen Botschafter Gökhan Turan. Auch weitere Betroffenen- und Angehörigeninitiativen bspw. aus Hanau und Halle waren vor Ort. Im Rahmen eines bundesweiten Solidaritätsnetzwerks unterstützen sich die Initiativen gegenseitig und machen sich für ein selbstbestimmtes Erinnern stark (vgl. auch Newsletter Ausgabe 05/2025).
Im Anschluss daran hielt der renommierte Historiker Prof. Dr. Wolfgang Benz eine eindrückliche Rede. Inspiriert durch die Rede von Özlem Genç am 30. Jahrestag 2023 - und erstmals im Jahr 2024 von Ferda Ataman gehalten- , soll eine jährliche Mevlüde-Genç-Rede zum Gedenktag sowohl erinnern als auch hinterfragen, aktuelle Bezüge herstellen und Wege zu einem gerechteren Zusammenleben aufzeigen.
Benz appellierte u. a. an die (mehrheits-)gesellschaftliche Verantwortung und die Bedeutung einer kritischen Erinnerungskultur. Um gesellschaftliche Lernprozesse anzustoßen und aus der Geschichte Lehren ziehen zu können, müsste Wissen vermittelt und über Zusammenhänge von Rassismus, Antisemitismus und Gewalt jenseits von Emotionen aufgeklärt werden. Die Untere Wernerstraße biete – ganz nach den Forderungen der betroffenen Familie und Initiativen – den Raum, um zu einem Lern-, Gedenk- und Dokumentationsort zu werden. Zum Ende seiner Rede betonte Benz die Bedeutung von Mevlüde Genç, die durch ihr Wirken den Kategorischen Imperativ Kants fortgeschrieben habe („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde“).
Das Gedenken an der Unteren Wernerstraße endete schließlich mit einem gemeinsamen Essen und Zusammenkommen. Fortgesetzt wurde das Erinnern an den Jahrestag im Anschluss am Mahnmal am Solinger Mildred-Scheel-Berufskolleg.
Weitere Hinweise
Mevlüde Genç Fellowship: Im Jahr 2025 wird die Initiative gegen antimuslimischen Rassismus im Rahmen des Bundesprogramms “Demokratie leben!” und der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) NRW gefördert. Das Programm stärkt bundesweit junge Vorbilder aus der muslimischen Zivilgesellschaft in ihrem Engagement für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen jede Form von Menschenfeindlichkeit. Dabei kombiniert es fachliche Weiterbildung mit praktischer Projektumsetzung und Netzwerkbildung. In Zeiten wachsenden antimuslimischen Rassismus werden Teilnehmenden Fähigkeiten vermittelt, um eine Vorreiterrolle im Kampf gegen Rassismus und für die aktive Gestaltung von gesellschaftlichem Wandel einzunehmen. Noch bis zum 08. Juli 2025 können sich Interessierte für das Fellowship bewerben.
„Da war doch was!“ - Bildungsmaterialien zum Solinger Brandanschlag 1993: Das Projekt „Re_Struct“ (IDA e. V.) hat rassismuskritische schulische und außerschulische Bildungsmaterialien zum Solinger Brandanschlag veröffentlicht. Das entwickelte Material ist auf der digitalen Plattform abrufbar und seit 2023 auch als Fachbuch mit umfassendem Hintergrundwissen und rassismuskritischen Begleitmaterialien für die pädagogische Praxis verfügbar